Zeitzeugenbericht – Günter Fischer

Anfang Juli 2024 hatte unsere Lerngruppe 9 die besondere Gelegenheit, einen Vortrag von Günter Fischer zu hören. Er erzählte uns von seiner jüdisch-christlichen Familie und ihren Erlebnissen während der NS-Zeit.

Günter Fischer begann mit der Geschichte seines Großvaters Ludwig Lazarus Traub, der 1889 geboren wurde und mit Thekla verheiratet war. Sie hatten vier Kinder und lebten in großer Armut. Die Töchter mussten arbeiten, um die Familie zu unterstützen und arbeiteten in einer Waffen- und Munitionsfabrik in Grötzingen. Eine der Töchter war Regina Fischer, Günters Mutter.

Am 22. Oktober 1940 wurden Günters Großvater, Großmutter und zwei Tanten nach Gurs deportiert, das war sozusagen die Vorhölle von Auschwitz. Von dort wurden sie in andere Lager verschleppt und starben auf schreckliche Weise. Diese Geschichten waren echt heftig und haben uns allen gezeigt, wie grausam die Zeit damals war.

Regina lernte 1920 Erwin Traub kennen. Obwohl sie Jüdin und er Christ war, spielte das in ihrer Beziehung keine Rolle. Sie lebten in Hagsfeld und erzogen ihre sechs Kinder evangelisch. Die Familie war in ihrer Gemeinde beliebt und akzeptiert, sogar nach der Reichspogromnacht.

1940 wurde Erwin zur Wehrmacht eingezogen. Später wurde das Haus der Familie durch Bomben zerstört und Regina musste mit ihren Kindern auf einem Hof in Hagsfeld unterkommen. Doch der Nachbar duldete keine Juden und ab da wurden sie geächtet und teilweise in Arbeitslager gesteckt. Zwei der Brüder konnten fliehen.

1944 zog Regina mit den drei jüngsten Kindern nach Flehingen zu Freunden. Anfang 1945 sollten dann alle jüdischen Ehepartner in Mischehen nach Theresienstadt deportiert werden. Auch Regina wurde abgeholt und ihre Kinder Lotte (13), Rudi (14) und Günter (4) mussten allein zu Fuß und mit einem Leiterwägelchen nach Büchig zu den Großeltern zurückkehren.

In Theresienstadt erlebten Regina und ihre Kinder die schlimmsten Zustände: Hunger, Durst, Kälte und Krankheiten. Am 5. Mai 1945 wurden sie von russischen Truppen befreit. Regina und ihre Kinder überlebten und kehrten nach Hagsfeld zurück. Günters Großmutter Thekla überlebte in Frankreich, aber sie war so traumatisiert, dass sie bis zu ihrem Tod nicht mehr sprach. Sie war da schon 77 Jahre alt.

Günters Vater Erwin starb als Kriegsgefangener in Stalingrad. Nach dem Krieg integrierte sich Regina mit ihren Kindern wieder gut in Hagsfeld. Auf die Frage, was sie in Theresienstadt erlebt hatte, sagte sie zu Günter nur: „Bub, sei froh, wenn du nicht alles weißt.“ Leider starb Regina 1955 an Typhus, einer Krankheit, die sie wohl im Arbeitslager bekommen hatte. Bei ihrer Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof kamen viele Menschen aus Hagsfeld, um dieser starken Frau die letzte Ehre zu erweisen.

Nach dem Vortrag waren wir alle total bewegt und diskutierten noch lange über das, was wir gehört hatten, und über die Ausgrenzung von Ausländern/Menschen mit Migrationshintergrund heute. Es war nicht nur eine Geschichtsstunde,
sondern auch eine wichtige Lektion in Menschlichkeit und Toleranz.

Verfasst von Anton Holler 9a